Ein Wort zum Sonntag
Ein Wort zum Sonntag (05. Dezember 2021, 2. Advent)
von Pastor Gert Glaser
Advent, das heißt: Gott kommt zu uns Menschen. Von diesem kommenden Gott spricht nicht erst das zweite, das Neue Testament. Schon beim Propheten Jesaja lesen wir im 40. Kapitel, Verse 3-5: In der Wüste bahnet dem Herrn den Weg; machet in der Steppe eine gerade Straße unserem Gott! Jedes Tal soll sich heben, und jeder Berg und Hügel soll sich senken, und das Höckerige soll zur Ebene werden und die Höhen zum Talgrund, daß die Herrlichkeit des Herrn sich offenbare und alles Fleisch es allzumal sehe; denn der Mund des Herrn hat es geredet. Hinter dem Hof meiner Eltern befand sich eine Art Wäldchen. Wir nannten es den Eichhof. Früher waren dort unsere tragenden Sauen auf der Suche nach Eicheln. Unter Brennnesseln und hohem Gras versteckt lag dort ein hölzernes Gebilde. Mittlerweile hat die Fäulnis nichts mehr übriggelassen von dem Gerät, das diese morschen Balken einmal darstellten. Ich spreche von einem Schneeflug, von einem großen hölzernen Dreieck. Den Älteren wird es vielleicht noch bekannt sein. Seine Spitze war durch Eisen verstärkt. An den hinteren Enden waren Rohre als Halterungen für zwei rote Fahnen angebracht, die nachfolgende Autos warnen sollten. Als meine Eltern den Hof 1956 pachteten, da übernahmen sie damit auch die Pflicht, den Schneeflug für das Dorf zu fahren. Eigentlich müsste man besser von ‘ziehen’ sprechen, denn der Schneeflug wurde hinter einen Trecker gespannt. Wenn es schneite, dann rief der Bürgermeister zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit bei uns an. Und mein Vater musste losfahren, auf dem ungeheizten Trecker. Und die Einsätze dauerten lang. Fiel der Einsatz auf den Nachmittag, dann durften wir Kinder mitfahren. Entweder direkt auf dem Trecker, oder wir hängten unsere Schlitten in einer Reihe an den Querbalken und fuhren zwischen den beiden roten Fahnen in der Mitte der geräumten Piste. Der Flug ließ genügend Schnee liegen, so dass die Kufen der Schlitten nur selten Berührung mit Steinen oder Asphalt hatten. Eine auf diese Weise geräumte Strecke war meist alles andere als eine gerade Straße, von der das Prophetenwort spricht. Der an einer Kette hängende Schneeflug suchte sich immer den Weg des geringsten Widerstands und pendelte mal nach rechts und mal nach links, wich stets nach dorthin aus, wo die Schneedecke am lockersten und am dünnsten war. Das machte die Fahrbahn zu einem äußerst kurvenreichen Gebilde. Aber immerhin: So konnten die Straßen unseres Dorfes auch von Autos befahren werden. Wir Kinder freuten uns auf diese Einsätze, die mehrere Stunden dauerten. Wir freuten uns auf die Schlittenfahrt in der Advents- und Weihnachtszeit, und wir freuten uns darauf, etwas mit unserem Vater unternehmen zu können. In seinem Gefolge kamen wir uns vor wie kleine Helden, die etwas Großartiges leisteten, vielleicht nicht gerade für die gesamte Menschheit, so doch wenigstens für deren wichtigsten Teil, für unser Dorf. An unseren alten Schneeflug musste ich denken, als ich die Verse des Jesajabuches las: „Bahnet dem Herrn den Weg; machet ... eine gerade Straße unserem Gott.“ Wie gesagt: Gerade waren unsere Wege nie. Und es blieb auch immer etliches an Schnee liegen. Aber menschliche Wege werden nie fehlerfrei, nie gerade und eben sein. Und das müssen sie ja vielleicht auch gar nicht. Denn im Gegensatz zu unseren empfindlichen Autos ist Gottes Ankunft, Gottes Advent nicht aufzuhalten. Jedenfalls nicht endgültig. Deshalb ist er auf unsere Räumungsarbeiten, auf unsere Hilfe letztlich nicht angewiesen. Aber wenn er kommt und sein Kommen in uns tiefe Freude auslöst, wenn mit ihm Friede und Gerechtigkeit bei uns einziehen, wenn er uns echtes Leben und nicht bloßes Überleben bringt, wieso sollten wir ihm dann nicht den Weg bereiten? Wieso sollten wir ihm dann nicht das eine oder andere Hindernis aus dem Weg räumen? Gottes Friede wird kommen, auf jeden Fall. Auch ohne unser Zutun. Aber aus Freude darüber, dass er kommt, können wir kleine Zeichen setzen, die auf seinen Advent hinweisen, die Gott den Weg bereiten: Eine freundliche Geste; ein kleines Dankeschön für Dinge, die wir sonst wie selbstverständlich hinnehmen. Gewiss, das ist nicht der ganz große Wurf, der in unserer verfahrenen Situation vielleicht nötig wäre. Aber es ist immerhin ein Zeichen. Es ist ein Stück Wegbereitung. „In der Wüste bahnet dem Herrn den Weg; machet in der Steppe eine gerade Straße unserem Gott!“ Amen! Gert Glaser |
Ein Wort zum Sonntag (28. November 2021)
von Pastorin Christa Siemers-Tietjen
Liebe Leserin, lieber Leser, |
Ein Wort zum Sonntag (21. November 2021)
von Pastorin Birgit Spörl
„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken soll und sie nicht mehr zu Herzen nehmen soll. Freut euch und seid fröhlich über das, was ich schaffe, spricht Gott.“ Ein neuer Himmel, eine neue Erde – So beginnt eine Vision des Propheten Jesaja. Er öffnet die Tür zu einer Hoffnung, die nicht an den Gräbern endet: Gott schafft neues Leben unter einem neuen Himmel auf einer erneuerten Erde. Er schenkt Hoffnung. Wir kennen dieses neue Leben noch nicht, sehen es nicht. Im Glauben können wir es ahnen. Unter dieser Vision und im Angesicht der Trauer sind wir heute morgen zusammen. Zwischen Trauerzeit und Ewigkeit. „Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod der anderen muss man leben“ so heißt es, und wie wahr das ist, dass haben die meisten von ihnen in den vergangenen Monaten erlebt. Sie haben einen Menschen verloren, der zu ihnen gehört hat. Und nun müssen sie mit dem Tod dieses Menschen leben. Wie macht man das? Wie kann man das? Es gibt keine Rezepte dafür. Jeder von uns lebt anders mit seiner Trauer und seinem Schmerz, jeder stellt andere Fragen und findet andere Antworten und auch jeder Abschied ist anders. Da trauert eine um ihre altgewordene Oma. Die Erinnerungen an sie reichen weit zurück in die eigene Kinderzeit. Sie hat gespürt: Oma war zufrieden, sie war bereit zu sterben. Da verbinden sich Trauer und Dank. Ein anderer schaut auf den nun leeren Platz des Partners und kann es noch immer nicht fassen. Er leidet unter den immer wieder gleichen Fragen, die ihm Kopf herumgehen, gerade abends, vor dem Einschlafen: Warum? Warum schon jetzt, warum auf diese Weise? Und wie geht es weiter für mich? Vielleicht haben sie es als hilfreich erlebt, wenn sie einfach erzählen durften – von dem, was sie beschäftigt, von dem Menschen, den sie gehen lassen mussten. Dass sie Zuhörer gefunden haben und Gesprächspartner – und es vielleicht auch für andere selbst sein konnten. Dass Trauer seine Zeit braucht, müssen wir in einer schnelllebigen Zeit oft neu lernen. In Gottesdienst am Ewigkeitssonntag hat das Gedenken einen besonderen Horizont: wir bleiben nicht bei dem Blick auf den Tod stehen. Über unser Leben wird ein Bogen gespannt, der gut 2500 Jahre zurückreicht und gleichzeitig in die Zukunft ragt. Unsere Erfahrungen, unsere Wünsche und Hoffnungen werden eingetragen in den weiten Horizont von Erfahrungen, von Hoffnung und Zuversicht der Glaubenden vieler Generationen. Wir hören von einem Himmel und einer neuen Erde. „Alles wird einmal anders.“ sagt dieses Hoffnungsbild. Und doch knüpft der Prophet an Situationen des Lebens seines Volkes an, um sie zu trösten. Er weiß, was sie quält. Und so sagt er ihnen zu: Jesaja 65, 17-25 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR. Mich berührt in der Vision des Propheten, wie konkret und fassbar diese Hoffnungen sind. Es wird aufhören, dass Kinder, junge Menschen sterben, dass Kinder vor ihren Eltern gehen müssen. Die Menschen werden alt und lebenszufrieden sterben. Das Leiden der Schwerkranken und ihrer Familien wird es nicht mehr geben. Und Menschen werden nicht mehr darunter leiden, dass sie die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr einbringen dürfen; das Gefühl: für wen mache ich das alles? Und sie werden nicht mehr nach Gott suchen, weil er ganz nahe ist, weil er hört und redet. Die Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde hat sich für uns Christen durchgezogen bis heute. Bei vielen Trauerfeiern hören wir aus der Offenbarung: „Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen und der Tod wird nicht mehr sein. noch Leid, noch Schmerz, noch Geschrei wird mehr sein. Siehe, Gott macht alles neu!“ Ende und Neuanfang fallen zusammen. Vielleicht geht es ihnen wie mir: Mich trösten diese anschaulichen Beschreibungen, diese Versuche, die Ewigkeit mit aller Wärme der Liebe Gottes zu buchstabieren. In einem solchen Bild kann man verweilen und Kraft schöpfen. Anderen wird die Bildlichkeit zu viel; den Himmel beschreiben, dass können und wollen sie gerade nicht, das wird zu konkret. Für sie erinnere ich an die Geschichte der zwei alten Mönche, die in einem Kloster ihr Leben lang miteinander verbunden waren. Immer wieder sprachen sie über den Himmel und wie es dort sei. Sie malten sich diese Zukunft aus und eines abends versprachen sie sich, dass derjenige von ihnen, der zuerst sterben würde dem anderen eine Nachricht zukommen lassen würde, wie es denn nun sei. Als der eine der beiden Mönche starb, dachte der andere an dieses alte Versprechen. Als er sich abends schlafen legte, war er voller Erwartung. Nun würde er bald wissen, wie es im Himmel sei! In der Nacht erschien ihm sein Mitbruder im Traum, ganz so, wie er es versprochen hatte. Und er lächelte ihn an und sagte nur dies: „Es ist ganz anders.“ Ob mit einem Bild oder ohne – die Zusage Gottes wird deutlich: Er ist uns nahe über das Ende hinaus. Mit der Auferstehung Jesu, mit dem Licht des Ostermorgens scheint das neue Leben bei Gott schon in unser Leben schon hinein. Und so stimmen auch wir heute, 2500 Jahre nach der alten Prophezeiung in die Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde ein. In dieses Vertrauen legen auch wir unsere Verstorbenen hinein. Amen Pastorin Birgit Spörl, Ritterhude |
Ein Wort zum Sonntag (14. November 2021)
von Pastor Henning Mahnken, OHZ
Internetandacht Dona, Dona, vielleicht kennen Sie das Lied. Es ist ein Welthit - spätestens in der Version, die Donovan 1965 sang. (https://www.youtube.com/watch?v=j1zBEWyBJb0 à hier könne Sie es sich anhören) Es wurde in viele Sprachen übersetzt – ist es aber ursprünglich ein Lied, das 1940 entstanden ist und es ist ein Lied über ein Kälbchen und eine Schwalbe. Wie niedlich mögen Sie denken – nein…ganz und gar nicht. Das Kälbchen kann sich nicht dagegen wehren zur Schlachtbank geführt zu werden. Die Schwalbe hingegen fliegt über das Kalb hinweg, bestimmt ihr Schicksal selbst. Das Kalb beklagt das eigene Schicksal, der Bauer aber weist das Kalb zurecht. Es soll aufhören sich zu beschweren, es hätte ja auch eine Schwalbe mit Flügeln werden können. Wie Aussichtslos… aber es beschreibt die Situation von Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus erschreckend trefflich. Warum bist du nicht als Schwalbe geboren? Jochen Klepper, einer der großen Lieddichter in unserem Gesangbuch wurde, um im Bild zu bleiben, als Schwalbe geboren. Zumindest als Preuße und als Christ. Jochen Klepper war seit 1931 mit Hanni verheiratet, einer Jüdin. Sie brachte 2 Töchter mit in die Ehe: Brigitte und Renate. Und deswegen drohte ihm immer wieder, trotz seiner Reputation, ein Schreibverbot und die gesellschaftliche Isolation. Er galt als jüdisch versippt. Und obwohl Hanni sich 1938 auf eignen Wunsch christlich taufen ließ, die beiden danach kirchlich heirateten, wurde die Not immer größer. Die älteste Tochter Brigitte konnte nach England ausreisen, den anderen blieb die Ausreise verwehrt. 1942 war die Deportation seiner Ehefrau und von Renate unausweichlich – ihn würde man vielleicht verschonen, aber was half das? Jochen Klepper hat Tagebuch geschrieben – ich möchte euch einige Eintragungen daraus vorlesen: 6. November 1942 / Freitag ... Auch meine private Arbeit habe ich nun voll wieder aufgenommen: müde und verzweifelt. Ach, nur einen Lichtstrahl von Gott in diesem entsetzlichen Dunkel! 3. Dezember 1942 / Donnerstag Wieder schimmerte nur am Mittag weich die Sonne auf, und der Rasen des Gartens begann noch einmal zu leuchten. Und sonst war’s abermals ein dunkel hindämmernder Tag. Den Vormittag habe ich noch einmal dem Garten gewidmet, ihn endgültig für den Winter bestellt, noch einmal Körbe mit Laub entfernt – der Garten ist wirklich ein kleiner Wald! – und die Blumenknollen und -zwiebeln eingedeckt. – Tiefdunkle Abende. Weihnachtsvorbereitungen und Testamentsergänzungen gehen in diesen Tagen nebeneinanderher. 9. Dezember 1942 / Mittwoch ... Diese stillen, stillen, dunklen, trüben Tage. So lind, so voller Trauer des Himmels. „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.“ Noch ein Tag so qualvollen Wartens. Und doch geht alles so rasch –. Abends die arme Hilde bei uns zur Testamentsbesprechung. ... 10. Dezember 1942 / Donnerstag Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der ums uns ringt. In diesem Anblick endet unser Leben. Es sind Buchstaben von so schwer gewordener Hand. Um Frau und Tochter vor Auschwitz zu retten, starben sie in dieser Nacht gemeinsam. Die Nacht, das Dunkle, das Trübe bestimmt die Texte von Jochen Klepper. Von jeher ist das Dunkel ein Ort der Furcht: In der Mitte der Nacht tötet der Verderber die Erstgeburt Ägyptens. In der Mitte der Nacht beginnt Israel seinen Befreiungsweg.. In der Nacht, da er verraten wurde, nahm er das Brot und feierte mit seinen Jüngern „Nachtmahl“. Nachts machte man ihm den Prozess. Als Jesus verraten, verurteilt und verleugnet ist, kräht der Hahn. Als Jesus auf der Höhe des Tages gekreuzigt wird, verdunkelt sich das Land, es wird finster. Und gleichzeitig: Kann sich das wandernde Gottesvolk in der dunklen Nacht an der Feuersäule orientieren, die Suchenden aus dem Morgenland am Stern. Am Ende der Nacht wird Jesus auferweckt. Trotz des Todes, der segnende Christus, der um uns ringt. Das Zusammenspiel von Tag und Nacht von Dunkelheit und Hoffnung, von Tod und Leben ist kaum zu begreifen.. kaum zu verstehen… nur zu hoffen und zu glauben. Oder um es noch einmal mit Jochen Klepper zu sagen: In jeder Nacht, die mich bedroht, ist immer noch ein Stern erschienen. und fordert es, Herr, dein Gebot, so naht dein Engel, mir zu dienen. In welchen Nöten ich mich fand, du hast dein starkes Wort gesandt.
In jeder Nacht, die mich umfängt, darf ich in deine Arme fallen, und du, der nichts als Liebe denkt, wachst über mir, wachst über allen. Du birgst mich in der Finsternis. Dein Wort bleibt noch im Tod gewiss
Henning Mahnken, Pastor in St. Willehadi |
Ein Wort zum Sonntag (07. November 2021)
von Pastorin Anke Diederichs
„Wann kommt das Reich Gottes? (Lukas 17,20) – die Sehnsucht nach Frieden Als ich einmal vor einigen Jahren die Konfirmanden zu Beginn einer Friedensdekade fragte, was alle Menschen beim Zusammenleben gemeinsam hätten, antworteten sie „Konflikte“. Ich hatte gehofft, ich bekäme die Antwort: die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Zu allem menschlichen Zusammenleben gehören Konflikte. Die Suche nach Frieden hat ihren Anfang in der Sehnsucht nach Frieden. Wie kann in Syrien, Afghanistan, in der Ukraine bloß Frieden werden? Die Resignation beim Abzug der Truppen aus Afghanistan ist noch spürbar. „20 Jahre umsonst“ hörte man immer wieder in den Medien. `Nein, das stimmt sicher nicht. Die positiven Dinge stehen nur gerade im Schatten. Da ist bestimmt eine Menge Friedensarbeit geleistet worden.´ waren meine Gedanken dazu. „Alles umsonst.“ Das hilft nicht weiter. Aber was hilft dann? Der Volksmund sagt: „Da hilft nur noch beten!“ Mit Beten wechselt man die Perspektive. Man sieht von sich selber ab, weg von seinem eigenen Tun und richtet seine Aufmerksamkeit auf Gott. „Dein Reich komme“ heißt es im Vaterunser. Jesus gab mit diesem Satz der Sehnsucht der Menschen nach Frieden Worte. In Gottes Reich, da herrschen Frieden und Gerechtigkeit. Diese Hoffnung hatten schon die Propheten verkündigt. Jesaja spricht vom Friedefürst, vom Messias, der den göttlichen Frieden bringt. Die Menschen zur Zeit Jesu fragten sich: Ist Jesus dieser Messias? „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“ waren ja seine Worte. Wo war es denn? oder: Wann kommt es? Das fragten die Pharisäer Jesus. Sie alle litten unter der Besatzung der römischen Gewaltherrschaft, unter der Anwesenheit von Soldaten und Waffen, unter Ausbeutung und Angst um ihr Leben. War Jesus der ersehnte Retter? „Gottes Reich ist da, wo die Liebe lebt und regiert.“ hätte er antworten können, aber erstmal sagt er ihnen, wo Gottes Reich nicht ist: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten kann. Man wird auch nicht sagen können: `Siehe, hier ist es!´ Oder `Da ist es.´ Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21). Was für eine Antwort! Schlauer ist man durch sie nicht. Auch wir wollen es doch wissen, genauso wie die Menschen damals: Wo ist Gottes Reich? Wo ist Gott? „Woran du dein Herz hängst, da ist dein Gott.“ hat Martin Luther es auf den Punkt gebracht. Gott ist überall. Wir erfahren das durch Glauben, Vertrauen und Lieben. Um sein Reich zu finden brauchen wir unser Herz und unsere Seele und Gottes Geist. Und wenn wir das erkennen, dann spüren wir auch, dass das Reich Gottes mitten unter uns ist. Eigentlich gibt es sogar drei Antworten. Mit ihnen muss man behutsam umgehen, denn mit Gott begegnet uns etwas, was größer ist als wir selbst, auf das wir uns einlassen müssen. Das uns anrührt, ehrfürchtig und demütig werden lässt und damit sehr verletzlich. Das nimmt uns auf jeden Fall die Fassung, wenn wir es erleben. Antwort1: Das Reich Gottes ist in dir. Da, wo du Gott in deinem Herzen wohnen lässt, auf sein Wort hörst, ihm vertraust, dich im Gebet an ihn wendest. Da wo du sagen kannst „Gott sei Dank!“ Antwort 2: Das Reich Gottes ist in deinen Händen. Die Mystikerin Teresa von Avila hat gesagt: „Christus hat keine Hände außer die der Menschen.“ Das Reich Gottes entsteht, da, wo Menschen sich für andere einsetzen, für den Frieden, für die Gerechtigkeit, für die Bewahrung der Schöpfung. Wo Menschen sich kümmern, Sorge und Nöte sehen und helfen. Wo man sagen kann: „Dich hat der Himmel geschickt.“ Gott ist in unserem Handeln. Und eine dritte Antwort: Gott ist unter uns, wenn wir Gemeinschaft in seinem Namen halten. „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ sagt Jesus. Immer wenn eine Gemeinschaftserfahrung - ein schöner Gottesdienst, eine Freizeit, ein Kirchentag - nachwirkt und man davon einfach weitererzählen muss, dann weiß man, dass das stimmt. Da war ein Stück Himmel auf Erden, als beim gemeinsamen Singen der bewusste Schauer über den Rücken lief. Gott wirkt in uns, in unserem Handeln und in unserer Gemeinschaft. Aber wir können das nicht herbeiführen oder machen. Wir können nur darum bitten. Gottes Nähe und Frieden ist ein Geschenk. Es kommt über uns, zu uns und haut uns um, rührt uns an, zu tiefst, so dass wir einstimmen können in die Worte Jesu: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Eine eindrückliche überwältigende Erfahrung ist für viele Menschen, auch für mich, der Fall der Mauer am 9. November vor 32 Jahren. Ausgerechnet an einem Gedenktag für eine grausame Aktion der Nationalsozialisten: der Zerstörung der jüdischen Synagogen und damit der Beginn der Ausrottung jüdischen Lebens in Deutschland öffnet sich die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland und es gibt Freiheit für die Menschen aus der DDR. Dem waren gewaltig große Friedensdemonstrationen voraus gegangen, die wiederum in den Kirchen, bei Friedensgebeten begonnen hatten. Ein Wunder, dass die Staatsmacht nicht mit Waffen gegen die Menschen vorging, sondern die Grenzen geöffnet wurden. Bis heute werden die Bilder gezeigt und man bekommt eine Gänsehaut und Tränen in den Augen. Es wird immer Streit und Konflikte geben. Und Kriege. Und Frieden schaffen wird immer mühsam sein. Aber Gott steht auf der Seite derer, die sich nach Frieden sehnen und schenkt seinen Segen über allem Tun.
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